Das Gravelbike - Interview mit Thomi Wiederkehr
Wie im Bericht über mein Reisebike erwähnt, diskutierte ich kürzlich mit Thomi Wiederkehr die Entwicklung des Gravelbikes. Als passionierter Biker und Bike-Mechaniker gehört er zu den fundierten Kennern der Bike Szene - egal um welche Art Velo es geht!
Die bike-point Gründer und Bike Pioniere - Hubi Guthauser & Thomi Wiederkehr
Thomi, Du zählst bei uns in der Region zu den Pionieren des Mountainbikes. Wie kam es dazu und wann war das?
1986 habe ich in Liestal eine neue Stelle angenommen. Den Arbeitsweg legte ich bei jedem Wetter von meinem Wohnort Zeiningen aus mit dem Velo zurück. Ich wollte in die Natur, weg vom Asphalt und Verkehr und da schien mir das Mountainbike ideal. Das Mountainbike von damals war dem heutigen Gravelbike recht ähnlich, Hardtail mit ca. 45 mm breiten Reifen, aber mit geradem Lenker. Die Revolution war neben den breiten Reifen, (die neue Bremssysteme nötig machten) auch die grosse Spreizung der Schaltung, also die «Berggänge» und die Bedienung der Schalthebel, ohne dass der Lenker losgelassen werden musste. Beim damaligen Rennrad befanden sich die Schalthebel am Unterrohr.
Du hast schon zahlreiche grössere Touren gemacht. Welches waren die herausforderndsten Touren?
Neben vielen Bikewochen in den Alpen bleibt die Radreise mit meiner Frau von Zeiningen nach Istanbul, entlang der kroatischen Küste und quer durch Griechenland in besonderer Erinnerung. Ein weiteres Highlight war eine Biketour durchs Südtirol und die Dolomiten. Damals kamen in 10 Tagen 30‘000 Höhenmeter zusammen.
Noch heute schwärme ich von der Rennradtour von Martigny nach Nizza. In einer Gruppe Gleichgesinnter haben wir 20 grosse Alpenpässe, die Legenden der Tour de France, überquert.
Jetzt zum Gravelbike. Wie bist Du zum Gravelbike gekommen, und wann war das?
Ich besitze schon viele Räder mit verschiedensten Komponenten. Z. B. Rohloff kombiniert mit Zweifachkettenblatt, Pinion etc. Ich wollte einfach ein Bike, das die Leichtigkeit des Rennrads möglichst mit dem grossen Einsatzbereich des Reisevelos verbindet. Deshalb habe ich mir vor 2 Jahren ein Ridley Kanzo Adventure gekauft (und natürlich sofort ein wenig modifiziert).
Du hattest mir kürzlich gesagt, jetzt brauche ich eigentlich nur ein einziges Velo. Warum?
Da hast du mich nicht ganz richtig verstanden. Wenn ich mich jetzt für nur ein Velo entscheiden müsste, würde die Wahl auf das Gravelbike fallen. Aber zum Glück muss ich mich nicht entscheiden. Das Gravel ist einfach ein guter Kompromiss, man fährt los, auch ins Ungewisse, irgendwie passt es immer.
Ich finde den Trend zum einfachen Leben, zu weniger Konsum, weniger Wohnraum und oh Schreck, zu nur einem Velo sehr sympathisch. Das Gravelbike ist ein Rad mit einem hohen Freizeit- und Alltagswert.
Welche Entwicklungen haben wir im Bereich der Gravelbikes zu erwarten?
Ich beobachte das Gravelbike schon lange. Eigentlich ist das bekannte Papalagi schon ein Gravelbike gewesen. Die Entwicklung der Bremsschaltgriffe am Rennrad machte es möglich den Rennvelolenker mit Mountainbiketechnik zu kombinieren.
Das heutige Gravelbike stammt vom Rennrad ab. Die Scheibenbremse ermöglicht breitere Reifen. Jetzt kommt aber zunehmend Mountainbiketechnik zum Einsatz.
Der Trend geht zu mehr Komfort. Du siehst das deutlich, wenn du dein Scott mit deinem OPEN vergleichst. Schau dir die Entwicklung des Mountainbikes an. Aus dem klar umrissenen Konzept (mein Mountainbike von 1986), hat sich eine grosse Zahl verschiedenster Typen entwickelt. Hardtail, Racefully, Tourenfully, All Mountain, Enduro, Downhill… Dieser Trend wird sich beim Gravelbike wiederholen. Front und Heckfederung werden kommen, aber auch Puristen wird der Markt mit dem ursprünglichen, echten „Gravel“ bedienen.
Welches ist Deine nächste Tour?
Wenn ich von Deinen Projekten höre, komme ich schon ein bisschen Fernweh. Bei mir ist nichts fest geplant. Im Moment will ich nicht für längere Zeit von zu Hause weg. Die nächsten Touren werden durch die Schweiz oder Deutschland führen. Gerne würde ich auch die Pyrenäen einmal auf zwei Rädern erkunden.
Die Region vor unserer Haustüre kenne ich ja gut, ich schaue aufs Wetter, lausche in mich, worauf ich gerade Lust habe und wähle dann zwischen Rennrad, Gravel-, Mountain- oder Citybike. Wenn der Anhänger zu schwer wird, spanne ich das E-Velo vor und mit meiner Frau bin ich auch gerne mit dem Tandem unterwegs.
Lieber Thomi, vielen herzlichen Dank für dieses Gespräch - sehr spannend! Ich selbst bin auch sehr gespannt, wie sich das Radfahren ganz allgemein, weiter entwickeln wird.
Ich freue mich bald wieder, mit Dir und unseren Kumpels von Zeiningen, Rennvelo-, Mountainbike- oder Graveltouren zu unternehmen :-)